Was ist aus den Drehbüchern geworden?
Von Ursula Hartenstein – November 2003
Das Schreiben von Drehbüchern wird in Europa seit vielen Jahren innerhalb der Aus- und Weiterbildung von Filmprofis gefördert.
Man will mit überzeugenden Filmen das europäische Kinopublikum für die eigenen Filme gewinnen – solide Stoffentwicklung gilt als ein Schlüsselelement. Die Stiftung FOCAL, die Adresse für Weiterbildung von Schweizer Filmprofis, nahm ihre zwölf Jahre Engagement bei der Entwicklung von Filmgeschichten als Anlass, um bei den Autorinnen und Autoren, die zwischen 1989 und 2001 an einem entsprechenden Angebot teilnahmen, nachzufragen, was aus den Projekten geworden ist. Die Recherche ‹Developed in a FOCALWorkshop› ergibt: Von insgesamt 92 Filmbüchern sind 27 verfilmt – 9 Kinofilme, 16 Fernsehfilme und 2 Kurzspielfilme.
Das sind 29% – ein sehr hoher Realisationsanteil..
Kernaktivität von FOCAL
Seit es die Stiftung für Weiterbildung Film und Audiovision gibt, zählt Drehbuchentwicklung zur Kernaktivität. Ausgelöst durch das damals von der Filmbranche formulierte Bedürfnis nach mehr Know-How für das Schreiben von Kinogeschichten, wird in diesen Zweig der Weiterbildung viel Zeit, Energie und Geld investiert. Die Drehbuchentwicklung belegt rund 40% der Seminartage und bindet jährlich im Durchschnitt 25 % der finanziellen Mittel. FOCAL zählt zu den sieben bedeutendsten Institutionen in Europa, die Drehbuchautor/innen aus- und weiterbilden. Die projektbezogene und meist in gemeinsamer Trägerschaft mit europäischen Partnern durchgeführte Drehbuchentwicklung ist in der Regel mehrteilig aufgebaut, wird über Jahre hinweg in regelmässigen Abständen angeboten und immer wieder den neuesten Entwicklungen angepasst.
FOCAL begleitet die Autor/ innen bis zu einer ersten oder zweiten Drehbuchfassung. Von der Schweizer Filmbranche wird immer wieder die Frage gestellt, ob es sich lohne, in diesen Bereich zu investieren.
Die Ergebnisse dieser Weiterbildung, ihr Einfluss auf die Qualität der Drehbücher und im weitesten Sinn auf die Qualität der Filme, oder ihr Einfluss auf den Werdegang der Autorin oder des Autors, sind in der Tat schwierig zu evaluieren. Am ehesten lassen sich die realisierten Filme als Referenz herbeiziehen.
Realisierungsanteil 29%
27 von 92 Drehbüchern, die in 17 Seminarzyklen zwischen 1989 und 2001 weiterentwickelt wurden – zunächst unter dem Dach von SUISSIMAGE (1989) und seit 1990 unter dem von FOCAL – sind verfilmt. Das ist ein knappes Drittel (29%) der Bücher. Weitere 4 Filme sind in Vorproduktion und 27 Drehbücher sind gemäss Autor/ innen in Bearbeitung (zusammen 34%), 34 Projekte (37%) werden nicht weiterverfolgt.
Zu den realisierten Kinofilmen zählen der Erfolgsfilm AZZURRO (Schweizer Filmpreis 2000 und mehr als 100’000 Kinoeintritte in der Schweiz) und weniger erfolgreiche wie LES PETITES COULEURS (17’500), ZORNIGE KÜSSE (8’400), DER NEBELLÄUFER (2’900) und WACHTMEISTER ZUMBÜHL/LE PANDORE (20’000). Die Schweizer Fernsehfilme, die ein Stoffentwicklungsprogramm durchliefen, weisen in der Regel gute bis sehr gute Einschaltquoten auf. Bei SF DRS stehen an der Spitze IM NAMEN DER GERECHTIGKEIT (29%), STUDERS ERSTER FALL (21,8%), SPITAL IN ANGST (18,3%) und LIEBER BRAD (17,1%). Die für das TSR realisierten Filme kommen in der Erstausstrahlung alle über 20% Marktanteil, CHARMANTS VOISINS (30,8 %), LE HASARD FAIT BIEN LES CHOSES (29,4%), L’HÉRITIER (29%), L’ÉTÉ DE CHLOÉ (26,8%) und KADOGO (21,1%).
Sieben der neun Kinofilme sind (auch) im Ausland ausgewertet und zehn von sechszehn Schweizer Fernsehfilmen sind von ausländischen Sendern ausgestrahlt worden. Zahlreiche Einladungen an internationale Festivals und Preise zeugen von Anerkennung und Beachtung.
Kinofilme – marktübliche Quote?
52 Kinostoffe finden sich unter den insgesamt 92 Büchern ‹Developed in a FOCAL Workshop›. Davon sind 9 Bücher verfilmt. In der europäischen Filmbranche erachtet man eine durchschnittliche Realisierungsquote von 10% der Drehbücher für Kinofilme als realistisch. FOCAL weist mit 17 % eine recht hohe Quote auf. Der Anteil wird sich noch leicht erhöhen, denn zwischen der Entwicklung eines Stoffes und der Fertigstellung des Filmes liegen häufig bis zu sechs Jahre.
Fernsehfilme – für den Markt geschrieben?
Der Fernsehmarkt sucht Stoffe und engagiert sich. So bietet FOCAL seit 1997 Stoffentwicklung in Zusammenarbeit mit den nationalen Fernsehsendern an, ‹Fernsehfilme SF DRS› für die deutschsprachige Schweiz (erste Staffel im Jahr 1999) und ‹Nous les Suisses› für die Suisse Romande, bereits seit 1997. Von 38 Büchern für Fernsehfilme (inkl. einem für eine Fernsehserie) sind 16 gedreht – das sind 42%. Drei Fernsehfilme sind ursprünglich als Kinofilme entwickelt worden, und umgekehrt wurde im Stoffentwicklungsprogramm für Fernsehfilme ein Kinofilm entwickelt.
Die insgesamt hohe Realisierungsquote von 29% für Bücher, deren Autoren in verschiedenen Stadien der Entwicklung an FOCALSeminaren teilgenommen haben, verdankt man also den Fernsehproduktionen.
Ziel erreicht?
Fakt ist: Drehbücher, die in einem Stoffentwicklungsprogramm betreut wurden, haben grössere Chancen, verfilmt zu werden, als es marktüblich ist. Dieses Arbeiten an stimmigen Dramaturgien, ausgereiften Kinogeschichten und glaubhaft gezeichneten Hauptfiguren – mit oder ohne Beteiligung des Produzenten – lohnt sich also. Man könnte aber gleichzeitig erwarten, dass der Realisierungsanteil nach dem Besuch eines solchen Programms noch höher läge. Hier ist zu bedenken, dass die Teilnehmer/innen zum grossen Teil Nachwuchsautor/innen sind. Sie haben in der Regel eine Filmschule besucht oder als Autodidakten Bücher für einen oder mehrere Kurzfilme geschrieben oder Kurzfilme, evtl. auch einen Langspielfilm, realisiert. Wenn sie als Drehbuchautor/in arbeiten möchten, und selbst wenn durch den Besuch eines Seminars kein Film entsteht, ist die ‹Investition in eine Person›, die in diesem Beruf arbeiten wird, keine verlorene. Und es zeigt sich: Mehr als 80% der Teilnehmer/innen schreiben weiterhin Filmgeschichten.
Zwischenzeitlich – und das ist auch eine indirekte Folge des Weiterbildungsangebotes von FOCAL – hat sich der Beruf des Drehbuchautors/der Drehbuchautorin in der Schweiz etablieren können. Aktuelles Signal ist SCENARIO, die erste Interessengruppe von Drehbuchautor/ innen in der Schweiz. Sie wurde während der Solothurner Filmtage im Januar 2003 ins Leben gerufen.
Offenbar war es sinnvoll, über viele Jahre hinweg in diese Kernaktivität von FOCAL zu investieren. Ob es weiterhin ein Schwerpunkt bleiben wird oder ob dieser in einen anderen Bereich der Weiterbildung verlegt wird, dazu soll sich die Filmbranche äussern. Die Frage ist gestellt. FOCAL ist offen für Antworten.
Ursula Hartenstein, 4.11.2003