Eine einzigartige Bühne für das Schweizer Filmschaffen
Giles Foreman – Januar 2014
Als Gabriela Kasperski – Bereichsverantwortliche Schauspiel bei FOCAL – mich und meine Berliner Kollegin Lena Lessing damals einlud, ein paar Workshops zu erteilen, hatte ich keine Ahnung, in welchem Ausmass diese Arbeit in der Schweiz die Vielfalt und die Gestaltung meiner Arbeit in der ganzen Welt einmal beeinflussen und bereichern würde. Ich bin Gabriela und FOCAL unendlich dankbar für die Möglichkeiten, Ideen und Projekte, die dank diesem einzigartigen Schmelztiegel, den FOCAL darstellt, entstehen konnten.
Ursprünglich lud Gabriela uns ein, weil sie an die Bedeutung der Schauspielkunst glaubt und die Schweizer Filmschaffenden – sowohl Schauspieler als auch Regisseure – bei der Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten unterstützen wollte. Zu diesem Zweck brachten wir zwei grosse Schauspieltraditionen in die Schweiz.
Erstens die Schule des ‹Drama Centre London›, welche das klassische europäische Schauspiel mit den amerikanischen Innovationen der Stanislawsky-Methode und dem einzigartigen Werk meines Lehrers Yat Malmgren verbindet: eine Technik, bei der die Schauspieler ihre Figuren ausgehend von der Analyse des menschlichen Ausdrucks gemäss Tänzer und Bewegungspädagoge Rudolph von Laban und von den Theorien des Schweizer Psychoanalytikers C.G. Jung entwickeln. Die Technik wird von allen am Drama Centre ausgebildeten Schauspielern angewendet – Anthony Hopkins, Colin Firth, Tom Hardy, Michael Fassbender, Lambert Wilson ... – und auch von den Absolventen angegliederter Schauspielinstitute weltweit, wie z.B. dem ‹National Institute of Dramatic Art› NIDA in Australien – besucht von ausgezeichneten Darstellern wie Cate Blanchett und Hugo Weaving.
Zweitens die Weiterentwicklung der Strasberg-Methode durch die legendäre Susan Batson – Schauspiel-Coach u.a. von Nicole Kidman und Juliette Binoche – und ihrer Theorie der ‹Public Persona›, ‹Need› und ‹Tragic Flaw›, die zufällig auch auf Jung gründet. Lena Lessing ist eine Fachfrau auf dem Gebiet, hat sie doch selbst während vieler Jahre bei Susan studiert
Zu Beginn bat uns Gabriela – damals unterstützt von Schauspieler Michael Neuenschwander, mit dem ich zuvor auf Michael Steiners grounding – die letzten tage der swissair – gearbeitet hatte –, Workshops in unseren verschiedenen Kompetenzfeldern zu leiten. Bald stellte sie fest, dass diese Kompetenzen auch bei der Drehvorbereitung und auf dem Set von Nutzen wären. So hat sie die FOCAL-Spezialmassnahme ‹Acting Coaching on Demand› ins Leben gerufen; hier können sich Produzenten für ein kostenloses Schauspiel-Coaching über drei Tage bewerben. Dieses weltweit einmalige Angebot erwies sich als äusserst erfolgreich, und Lena und ich hatten das Glück, auf einer ganzen Reihe von wunderbaren Schweizer Filmen arbeiten zu dürfen: sennentuntschi (Michael Steiner), dawn (Romed Wyder), der goalie bin ig (Sabine Boss), ziellos (Niklaus Hilber), der kreis (Stefan Haupt), achtung, fertig, wk! (Oliver Rihs)und viele andere.
Gabriela hatte noch einen anderen glänzenden Einfall: Sie meinte, dass ein Workshop über Schauspielführung für Regisseure, die an ihren Drehbüchern arbeiteten, sinnvoll wäre, und schuf die ‹Masterclass Schauspielführung für RegisseurInnen›. Hier erlernen jeweils sechs Regisseure die Grundlagen des Schauspiels in Theorie und Praxis bei Lena und mir und machen sich durch die Arbeit mit einer Gruppe von Schauspielern mit verschiedenen Methoden vertraut. Viele Drehbücher, die den Workshop durchlaufen haben, wurden erfolgreich verfilmt, namentlich Sabine Bernardis romeos, der an der Berlinale gezeigt und an verschiedenen Festivals ausgezeichnet wurde.
Aber damit nicht genug. Nach einer Diskussion mit der Schweizer Schauspiel-Coach Barbara Fischer – die ursprünglich in London bei mir studiert hatte und danach das Schauspiel und das Werk von Yat Malmgren mit meinen Lehrern Reuven Adiv und Christopher Fettes weiter vertiefte – bat Gabriela mich, eine zeitgemässe und zugängliche Methode zu entwickeln, um das Werk Yats zu vermitteln. Zur gleichen Zeit schrieb Christopher Fettes, Mitbegründer, des ‹Drama Centre London›, zusammen mit Yat, an einem Buch über dessen Arbeit. Er leitete mit mir die ersten Workshops. Dabei wurde uns erst richtig bewusst, was es heisst, eine so komplexe Materie weiterzugeben. Diese Erfahrung beeinflusste Inhalt und Stil von Christophers Buch enorm. Das Buch erscheint demnächst, und ich selbst habe die Workshops rund um die Welt reproduziert. All dies wäre ohne Barbara, die visionäre Kraft von Gabriela und das Forum, das FOCAL bereitstellt, nicht geschehen.
Das Ganze hatte noch weitere positive Nebenwirkungen. Schweizer Studierende haben bei mir in London Workshops besucht – u.a. der vielversprechende junge Schauspieler Basil Eidenbenz, der gegenwärtig einen deutschen Film in Berlin dreht, – Netzwerke und Freundschaften sind entstanden und es haben sich zahlreiche Gelegenheiten zur internationalen Zusammenarbeit ergeben. Anna Luif und Nicole Borgeat haben die Materie nun auch aufgegriffen; Anna hat sieben Regisseure für Film-Events nach London geholt – wir haben Rufus Norris, Regisseur von broken und heute Leiter des ‹Royal National Theatre› getroffen, – und Nicole hat kürzlich das Werk von Yat in die Suisse romande gebracht.
FOCAL ist mit ihrem unermüdlichen Einsatz für das Schweizer Filmschaffen eine Organisation ohnegleichen. Ich weiss, dass meine Kollegen hier in England liebend gerne etwas Ähnliches hätten – aber wir können nur mit Bewunderung und einem Hauch von Neid hinüber schauen.
Giles Foreman
gilesforeman.com