Schreiben mit 4 Händen: Interviews

Denis Rabaglia : « Das Drehbuch gewinnt immer, wenn Koautoren daran mitarbeiten »

Denis Rabaglia wurde am 31. Mai 1966 in Martigny, Schweiz, geboren. 1992-1993 schrieb und realisierte Grossesse nerveuse, eine Komödie, die ihm 1994 in Deutschland den Max-Ophüls-Preis und 1995 den Prix Futura für den besten Europäischen Fernsehfilm einbrachte. Von 1995 bis 2000 entwickelte und drehte er Azzurro, ein Drama mit Paolo Villaggio, das in Italien und der Schweiz spielt. Als Drehbuchautor schrieb er auch den Fernsehfilm Farinet, héros et hors-la-loi (1995) von Yvan Butler

Interview von Patrick Claudet, September 2006.

/script: Denis Rabaglia, Sie haben das Drehbuch für Ihren ersten Film Grossesse nerveuse (1993) und das für Farinet, Héros et Hors-la-loi (1995). Warum haben Sie dann bei Azzurro (2000) die Arbeit mit einem Koautoren bevorzugt?

Denis Rabaglia: Meine Entscheidung war zunächst motiviert durch Fragen bezüglich der sprachlichen Korrektheit. Denn nachdem ich mich entschlossen hatte, Azzurro auf italienisch zu machen, wusste ich, dass ich einen italienischsprachigen Koautoren brauchen würde. Denn ich bin nicht perfekt zweisprachig. Man schreibt kein Buch auf Französisch, um es dann wieder in eine andere Sprache zu übersetzen. Das funktioniert nicht. Ich habe an Luca de Benedittis gedacht, nachdem ich selbst drei Versionen geschrieben habe.

Sie würden also niemals von Anfang an Schreiben mit 4 Händen?

Nein. Niemals. Ich schreibe alleine eine oder sogar mehrere Fassungen, bevor ich mich an einen Koautoren wende. Das Schreiben mit einem Koautoren, das ist für mich kein Mittel zur Substitution. Ich versuche nicht, mich dadurch von der Arbeit des Schreibens zu entlasten. Durch den Umweg über einen Koautoren möchte ich dem Projekt vor allem frisches Blut zufließen lassen. Denn nach drei Versionen weiß ich, dass ich stagniere.

Welche verschiedenen Etappen gab es denn beim Schreiben von Azzurro?

Ich habe die drei ersten Dialogfassungen selbst geschrieben, dann habe ich zusammen mit Luca die drei nächsten ausgebrütet. Bei der siebten Fassung habe ich mich an Antoine Jaccoud gewendet, bevor ich mit Luca die nächsten fünf Fassungen geschrieben habe – es waren insgesamt zwölf Fassungen. Später, bei Conjuror, einem englischen Drehbuchprojekt, habe ich die Methode dann nochmals angewendet. Auch da habe ich die drei ersten Fassungen alleine geschrieben, dann hat mich Dan Bohlinger bei den nächsten drei betreut. Für die Versionen sieben und acht habe ich die Sache dann wieder selbst in die Hand genommen, bevor zwei angelsächsische Drehbuchautoren bei der neunten und letzten Version noch einige notwendige sprachliche Veränderungen vornahmen.

Wie organisieren Sie Ihre Arbeit?

Man setzt sich an einen Tisch und macht Brainstorming. Ich bleibe dabei empfänglich für jede Idee und sortiere das, was kommt, vor allem nach thematischen, aber auch nach strukturellen Gesichtspunkten. Ein Problem für einen Autor, der alleine arbeitet, kann es allerdings sein, dass er es jedes Mal, wenn er in Frage gestellt wird, für zwingend notwendig erachtet, sich vor der ganzen Welt zu rechtfertigen. Aber generell sind unter Professionellen die einzigen Gefechte auch spannende Gefechte. Diese "Tischrunde" dauert zwischen vier und zehn Tagen, aber dann hat man die Basis für die folgenden Versionen und in manchen Fällen sogar die Basis dafür, um frei von der Leber weg loszuschreiben.

Und diese relativ kurze Zeitspanne genügt tatsächlich, um ein Drehbuch "anzukurbeln"?

Wir bauen ja auf einer Dialogfassung auf, die bereits mehrmals überarbeitet wurde. Zu diesem Zeitpunkt stehen die Personen und auch die Situationen bereits, was bedeutet, dass man das Projekt in wenigen Tagen restrukturieren kann. Ich habe festgestellt, dass bei den drei Filmen, die ich realisiert habe, der "Funke" erst zwischen den Versionen sechs, sieben oder acht übersprang, nicht früher. So lange muss man einfach "durchhalten".

Nach welchen Kriterien suchen Sie sich Ihre Koautoren aus?

Im Prinzip stelle ich mir folgende Frage: Wer wird dem Projekt meiner Meinung nach am besten gerecht? Für Pas de panique (2006), bei dem das Originaldrehbuch ja von Olivier Chiacchiari stammt, wendete ich mich an Nicole Borgeat, weil sie den Kurzfilm Demain j'arrête (2005), geschrieben und realisiert hat, der thematisch eine Verwandtschaft mit diesem Projekt hatte. Und wie das so ist, werden Nicole und ich auch weiterhin zusammenarbeiten: Sie wird bei einem meiner nächsten Filme Koautorin sein, und umgekehrt.

Worauf achten Sie speziell, wenn Sie eine Zusammenarbeit beginnen?

Ganz generell achte ich darauf, dass ich die Kontrolle über das Drehbuch behalte. Das heißt, dass ich die Überarbeitung nach den Zielen organisiere, die mir am wichtigsten scheinen. Ich behalte mir also in der Eigenschaft als Hauptdrehbuchautor und Regisseur eine Art "final cut" für das Drehbuch vor, selbstverständlich in Übereinstimmung mit der Produktion.

Räumt man Ihnen dieses Recht so einfach ein?

Die Produktion hat keine Wahl. Und meine Koautoren auch nicht. Jeder kann sich frei überlegen, ob er diese Spielregeln akzeptiert -oder eben nicht. Eine Absage nehme ich nicht übel. Im Allgemeinen bin ich jemand, der ganz gut mit Egoproblemen und plötzlichen Stimmungswechseln umgehen kann. Und außerdem glaube ich nicht an die Idee des "Autors von göttlicher Fügung", der alleine gegen alle antritt. Ich bin da sehr zielorientiert.

Welche Fallen kann man vermeiden?

Unklare vertragliche Situationen: Die Autoren sind oft sehr ahnungslos, und die Produzenten oft sehr unprofessionell. Das kann eine schöpferische Auseinandersetzung ungemein erschweren. Da muss man sehr aufpassen, und ich achte sehr darauf, mir den Rücken diesbezüglich freizuhalten.

Hat ein Regisseur grundsätzlich Interesse an der Zusammenarbeit mit einem oder mehreren Koautoren?

Ich für mein Teil muss sagen, dass das Drehbuch, ungeachtet der bereits erwähnten Schwierigkeiten bei der Arbeit mit einem oder sogar mit zwei Koautoren, dabei immer an Qualität gewonnen hat. Einzige Ausnahme: der Regisseur, der nicht alleine schreiben kann. Der neigt nämlich allzu leicht dazu, den Beitrag des Koautors zu sublimieren, und das kann der Grund für den Misserfolg eines Projekts sein. Ein Drehbuch zu schreiben, das ist ein Prozess, wo Vorstellungskraft und Pragmatismus Hand in Hand gehen


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